Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied in seinem Urteil vom 18. Oktober 2016, dass die von Schweizer Sozialversicherungen durchgeführten Observationen ohne hinreichende gesetzliche Grundlage erfolgten. Aus diesem Grund verabschiedete das Parlament eine gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Observationen. Dieses Gesetz ist am 1. Oktober 2019 in Kraft getreten.
Seit 1. Oktober 2019 dürfen also Versicherte von den Sozialversicherungen mit Bild- und Tonaufzeichnungen observiert werden, sofern konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass unrechtmässig Leistungen bezogen werden oder bezogen werden möchten.
Wo darf eine Person observiert werden? Grundsätzlich darf eine Person nur observiert werden, wenn sie sich an einem allgemein zugänglichen Ort befindet. Dazu gehört auf jeden Fall der öffentliche Grund (z.B. Bahnhöfe, öffentliche Plätze, Parkanlagen, etc.). Ein privater Grund gilt als allgemein zugänglich, falls ihn die Allgemeinheit betreten darf. Das betrifft zum Beispiel Kinos, Restaurants, Museen, Sportstadien, etc.. Entscheidend ist, dass sich die Person an einem Ort aufhält, der für die breite Öffentlichkeit zugänglich ist.
Eine versicherte Person darf aber auch dann observiert werden, wenn sie sich an einem Ort befindet, der von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar ist. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre dar. Denn mit dieser Ausweitung der Observationsmöglichkeiten darf sie grundsätzlich auch in ihrem privaten Bereich beobachtet werden. Die Grenze liegt bei der geschützten Privatsphäre der zu observierenden Person. Dazu gehört insbesondere das Innere eines Wohnhauses, einschliesslich die von aussen durch ein Fenster einsehbaren Räume und die unmittelbar zu einem Haus gehörenden eingezäunten Plätze, Höfe und Gärten, die üblicherweise Blicken von aussen entzogen sind. Liegt allerdings kein Sichtschutz vor und ist die Person von blossem Auge beobachtbar, wie zum Beispiel auf einem Balkon, ist die Observation zulässig.
Diese Ausweitung der Observationsmöglichkeiten birgt diverse Abgrenzungsschwierigkeiten; denn darf eine Person zum Beispiel gefilmt werden, wenn der Balkon zwar frei einsehbar, aber verglast ist? Zudem ist die Möglichkeit einer Observation von Zufälligkeiten abhängig. So sind beispielsweise Observationen von Personen auf Balkonen in den oberen Stockwerken unzulässig, weil sie in der Regel nicht von einem allgemein zugänglichen Ort einsehbar sind.
Auf jeden Fall muss der Persönlichkeitsschutz der Versicherten im Vordergrund stehen. Die Observationen sollten daher vorwiegend an allgemein zugänglichen Orten stattfinden und im Privatbereich nur sehr eingeschränkt und in Ausnahmefällen zugelassen werden.
Weitere Informationen finden Sie unter Art. 7 ff. ATSV